Geschüttelt, nicht gerührt

Auf der Karte sieht die Fahrt von Sucre nach Cochabamba gut machbar aus. Dieses Gefühl ändert sich schlagartig, als wir uns auf den Weg machen. Zunächst freuen wir uns über relativ löcherlosen Asphalt, doch alsbald jagt eine Baustelle die nächste und schon finden wir uns wieder mal auf einer denkbar rumpeligen Piste wieder. Das macht nicht nur unser Tempo langsam, sondern auch unsere Sorge groß, dass wir früher oder später einen Teil vom Tioga abschütteln werden und die Nerven liegen bald blank. Für das Festmachen des Innenlebens des Tiogas haben wir gezwungenermaßen schon eine Reihe von Tricks auf Lager. Die Kinder schreiben tapfer ihre Sommerration an Rechnungen auf, praktisch unmöglich bei diesem Geschüttel. Die Kinder sind darüber nur halb traurig. Selbst die Landschaft kann sich uns nicht in ihrer Schönheit zeigen, denn obwohl wir viele Kilometer an einem riesigen, fruchtbaren Flussbett entlangkurven, haben wir den Staub bald in allen Poren. Teilweise sind wir uns gar nicht sicher, ob wir überhaupt noch auf der Straße sind! Glücklicherweise sehen wir in der Ferne einen LKW, also scheint es richtig zu sein. Irgendwie kommen wir dann doch noch zu unserem Tagesziel, Aiquile ist asphaltiert, welch eine Wohltat.

Doch der nächste Tag bringt ein weiteres Zuckerl des bolivianischen Straßennetzes, eine „empiedrada“. Der freundliche Señor an der Tankstelle versichert uns, dass es nur 70 km sind, bis wieder asphaltiert ist. Höchst motiviert fahren wir die ersten Kilometer auf der „empiedrada“ und wissen gar nicht, was uns mehr schüttelt – die Piste hinter uns oder die vielen Kilometer vor uns. Denn diese mehr als 70 km sind mit kleinen Kopfsteinen penibelst gepflastert! Man stelle sich den Kreisverkehr vor der Hofburg mit dem Radl vor,   dazu viele Kurve und Kehren, steil bergauf und bergab auf einer schmalen Straße mit glücklicherweise wenig Gegenverkehr, mal geht es rechts, mal links viele hundert Meter steil bergab – ohne Leitplanken, doch mit vielen Marterln. Kurz wird das auch dem Tioga zu heiß, doch wir können bald die Schüttlung fortsetzen. Nach endlos scheinenden Stunden fühlt sich der Asphalt unter den Reifen himmlisch und flockig an.

Am Fuße der Ruinen von Incallajta, einem der bedeutensten Inkabauwerke Boliviens, finden wir einen herrlichen Stellplatz mit frischem Quellwasser. Es fühlt sich ein bisschen an, wie in den steirischen Bergen.

Für den Weg nach Cochabamba wählen wir die vergleichsweise ereignislose Asphaltstraße. Nach dem schönen Sucre hat es Cochabamba schwerer, unser Herz zu gewinnen - Begeisterung für das reiche Angebot an herrlich frischem und noch günstigerem Obst und Gemüse ausgenommen, denn hier gibt es Wasser und Sonne und herrlich grüne Vegetation. Immer noch gewöhnungsbedürftig ist für uns, wie die Kinder hier aufwachsen. In den Dörfern winken wir kleinen und großen Kindern in ihren weiß-blauen Schuluniformen zu, die viele Kilometer weit am Rande der Hauptstraße durch Staub und Sonne vom „Unidad Educativa“ in der Region nach Hause stapfen, um am Nachmittag die Verantwortung für die Schafe, Lamas und Esel zu übernehmen. In der Stadt begegnen wir Mädchen und Buben, die wie selbstverständlich mit ihren Eltern mitarbeiten – in der Autowerkstatt, am Verkaufstand, im Straßenrestaurant. Die SchülerInnen sitzen am Markt auf kleinen Hockern zwischen dem Obst und Gemüse, dem Fleisch, den Schuhen und dem Plastikspielzeug und machen ihre Hausaufgaben. Die Kleineren schlafen erschöpft über ihren Büchern ein und lehnen sich an einen Sack Reis oder Nudeln, während ihre Mütter ihre Waren verkaufen. Die Babies sind im „ahuayo“ – dem bunten Tragetuch – fest mit einer Decke an den Rücken ihrer Mütter gebunden und somit dabei beim Straßenkehren, Müll wegbringen und Scheiben geschnittener Ananas an der lauten Straße verkaufen. Beim Sandwichstand liegen die Babies unter dem gasflaschenbetriebenen Herd mit der Pfanne für das heiße Fett in einem bunten Tuch und einer dicken Decke auf dem Boden, die Señora, die Socken verkauft, hat ihr Baby vor dem Staub der Straße geschützt und es auf eine Decke in zwei Bananenkartons gelegt, das Kleinkind der Señora, die vor dem Baño publico in einem fensterlosen Kammerl das Klopapier verkauft, spielt in der Ecke mit einer Kartonrolle. Die Getränke am Eck werden von einem siebenjährigen Mädchen verkauft, während die Mutter Besorgungen macht. All diese Kinder sehen unsere Kinder, ihre helle Haut und ihre blonden Haare, mit großen Augen an, manche trauen sich ein freundliches „holà“ zu rufen.